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Diagnostik und Behandlung der "Glücksspielsucht"

Jörg Petry

Psychosomatische Fachklinik Münchwies,
Turmstraße 50-58,
66540 Neunkirchen,
Tel.06858/691223
e-mail: J.Petry@ t-online.de


Inhalt:

Das Störungsbild
Der Begriff „Glücksspielsucht"
Ein handlungstheoretisches Rahmenmodell
Aktuelle Erscheinungsformen
Diagnostische Verfahren
Der kognitiv-behaviorale Behandlungsansatz
Glücksspielabstinenz als Behandlungsgrundlage
Geld- und Schuldenmanagement
Symptomorientierte Behandlungsschwerpunkte
Bearbeitung der Hintergrundsproblematiken
Erfassung der Behandlungseffektivität
Literatur

Das Störungsbild

Die Anerkennung des „Pathologischen Glücksspiels" als eigenständiges Störungsbild begann 1980 mit der Aufnahme in die internationalen psychiatrischen Klassifikationssysteme DSM und später ICD. Die aktuellste Operationalisierung findet sich im DSM-IV von 1994, wobei sich in der deutschen †bersetzung (Saß et al., 1996) eine unkorrekte Bezeichnung als „Pathologisches Spielen" findet, so daß die englischsprachige Unterscheidung zwischen „playing" (Spielen) und „gambling" (Glücksspielen) verwischt wird.

Danach handelt es sich um ein andauerndes und wiederkehrendes fehlangepaßtes „Glücksspielverhalten", das sich in mindestens fünf von zehn glücksspielertypischen Merkmalen ausdrückt:

  • Das starke Eingenommensein vom Glücksspiel
  • Die Erhöhung der Einsätze, um die gewünschte Erregung zu erreichen
  • Wiederholt gescheiterte Versuche, das Glücksspielen einzuschränken oder aufzugeben
  • Das Auftreten von Unruhe und Gereiztheit beim Versuch, das Glücksspielen einzuschränken oder aufzugeben
  • Die Funktion des Glücksspielens, Problemen oder unangenehmen Gefühlen auszuweichen
  • Der Versuch, durch wiederholtes Glücksspielen frühere Geldverluste auszugleichen
  • Lügen gegenüber sozialen Bezugspersonen, um das Glücksspielverhalten zu vertuschen
  • Kriminelle Handlungen, um das Glücksspielen zu finanzieren
  • Die Gefährdung oder der Verlust partnerschaftlicher Beziehungen oder beruflicher Perspektiven aufgrund des Glücksspielverhaltens
  • Das Verlassen auf andere Personen, um die glücksspielbedingte finanzielle Sackgasse zu überwinden

Dabei erfolgt eine Abgrenzung des „Pathologischen Glücksspielens" von den unproblematischen Formen des „sozialen Glücksspielens" oder „professionellen Glücksspielens", die durch Eingrenzen der Risiken dem Zeitvertreib bzw. dem Lebensunterhalt dienen, vom exzessiven Glücksspielen als Bestandteil einer manischen Episode, jedoch nicht mehr von der antisozialen Persönlichkeitsstörung, für die von einer möglichen Koexistenz ausgegangen wird.

Kritisch anzumerken ist dazu, daß „Pathologisches Glücksspielen" ohne expliziten Bezug in Anlehnung an das Jellinek'sche Phasenkonzept des Alkoholismus operationalisiert wird, dann jedoch nicht konsequenterweise als nichtstoffgebundene Suchterkrankung eingeordnet, sondern zusammen mit der „intermittierenden explosiven Störung", der „pathologischen Brandstiftung", dem „pathologischen Stehlen" und dem dranghaften Impuls des spannungsreduzierenden Haarausreißens (Trichotillomanie) unter Störungen der Impulskontrolle eingeordnet wird. Letzteres läßt sich nur als überkommene Reminiszenz an das nosologische System von Kraepelin verstehen, der die „Spielwut" im Rahmen seiner deskriptiven Psychiatrie als „impulsives Irresein", also eine Störung der Triebkontrolle, aufgefaßt hatte. Die symptomorientierte, d.h. auf das Glücksspielverhalten eingeengte, Operationalisierung des „pathologischen Glücksspielens" erfaßt ebenfalls nicht diejenigen intrapsychischen Prozesse, die mit der glücksspielspezifischen Selbstproblematik verbunden sind. Die für behandelte Glücksspieler charakteristischen emotionalen Störungen, ihre mangelnde Bindungsfähigkeit, Auffälligkeiten der Persönlichkeitsentwicklung, kognitiven Verzerrungsmuster, streßbedingten Erkrankungen, devianten Verhaltensweisen und die besondere Bedeutsamkeit des Geldes werden lediglich als zugehörige Merkmale genannt.

Sowohl die Widersprüchlichkeit der nosologischen Einordnung als auch die symptomzentrierte Operationalisierung des Störungsbildes erschweren die inhaltliche Ableitung eines klaren Behandlungskonzeptes (Petry, 1996). Es verwundert deshalb nicht, daß die Behandlungschancen von Glücksspielern bis heute skeptisch beurteilt werden. Während in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine religiös-moralische Auseinandersetzung mit dem Laster des „Hasardspiels" vorherrschte, wurde mit Beginn dieses Jahrhunderts die Glücksspielproblematik zwar als psychiatrisches Krankheitsbild beschrieben, gleichzeitig jedoch nihilistisch als unheilbar beurteilt. Der Impuls zum Umdenken erfolgte erst später durch die psychoanalytische Behandlung von Einzelfällen (Bergler, 1958), während erst in den 80er Jahren im Rahmen des suchttherapeutischen Ansatzes (Custer & Milt, 1985) Versuche unternommen wurden, systematische Behandlungsangebote in größerem Umfang zu realisieren. Diese Entwicklung hat jedoch auf der sozialrechtlichen Ebene noch nicht zu einer höchstrichterlichen abgesicherten Entscheidungüber die Bewertung als behandlungsbedürftiges Krankheitsbild geführt.

†ber die Häufigkeit von behandlungsbedürftigen Formen des Glücksspielverhaltens liegen für Deutschland bisher nur widersprüchliche Angaben vor, da eine große Kluft besteht zwischen epidemiologischen Studien, die aufgrund der geringen Anzahl von Betroffenen einen großen Unsicherheitsbereich aufweisen, und klinischen Schätzungen, die sich auf Hochrechnungen anhand der Behandlungsnachfrage stützen (Meyer & Bachmann, 1993). Im Vergleich zu den angloamerikanischen Ländern, für die von einer Prävalenzrate von 1 - 3 % ausgegangen wird, handelt es sich in der Bundesrepublik um eine wesentlich kleinere Gruppe von vielleicht 0,1 % der Bevölkerung, d.h. ca. 100.000 betroffene Personen. Immerhin weisen derzeit ca. 2 bis 3 % der in ambulanter Suchtberatung befindlichen Klienten eine entsprechende Diagnose auf und es existieren im stationären Bereich eine Anzahl von Einrichtungen, zu der die psychosomatische Fachklinik Münchwies gehört, die seit mehr als 10 Jahren eine ansteigende Anzahl von Glücksspielern nach einem ausgewiesenen Konzept behandeln (Petry & Bensel, 1997).

Der Begriff „Glücksspielsucht"

In der Fachliteratur finden sich derzeit vielfältige sprachliche Bezeichnungen für problematische Formen des Glücksspielverhaltens. Dabei wird der englischsprachige Begriff „gambling" durch den Gegenstand einengender Adjektive wie „excessive", „obsessive", „compulsive", „addictive" oder aktuell „pathological" ergänzt. Für die Erfassung der wesentlichen Merkmale des komplexen Gegenstandsbereiches erscheint der deutschsprachige Begriff „Glücksspielsucht" am geeignetsten, wenn man die inhaltlichen Implikationen der drei darin enthaltenen Substantive Spiel, Glück und Sucht betrachtet (Petry, 1996).

Der Begriff Spiel weist auf den umfassendsten Bedeutungszusammenhang des Gegenstandsbereiches hin. Nach †bereinstimmung von Therapeuten unterschiedlichster Orientierung, die eine größere Anzahl von Glücksspielsüchtigen behandelt haben, besteht die herausragende klinische Besonderheit dieser Gruppe in einer ausgeprägten Selbstwertproblematik (Bergler, 1958; Custer & Milt, 1985). Diese läßt sich nur auf dem Hintergrund der Wechselwirkung des speziellen Aufforderungscharakters von Spielen mit dieser Eigenschaft von Glücksspielsüchtigen verstehen. Faßt man das Spiel als eine zielgerichtete Handlung auf (Oerter, 1993), so besteht deren motivationaler Kern in dem Erleben einer Selbstwertsteigerung durch Meisterung einer aus dem Alltagsleben abgehobenen Handlungsanforderung. Dem Spiel kommt die Funktion zu, emotionale Grunderfahrung zu ermöglichen, die aufgrund der im realen Leben bestehenden Einschränkungen, wie z.B. der starken Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern, nicht möglich sind. Dabei können die in der realen Welt erfahrenen Frustrationen ausgeglichen und neue, entwicklungsfördernde Erfahrungen gesammelt werden.

Bei der aus einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung resultierenden Selbstwertproblematik, die bei den vorwiegend männlichen Glücksspielsüchtigen in Form einer negativ geprägten Vater-Sohn-Beziehung auftritt, entwickelt sich eine innere Bedürfnisstruktur, für die der Aufforderungscharakter von Spielsituationen einen besonderen Anreiz darstellt. Entsprechend zeigen Glücksspielsüchtige reges Interesse an verschiedensten Spielen wie Schach oder sportlichem Wettbewerb, in denen sie ihre Fähigkeit erproben und dabei ihr subjektives Kompetenzgefühl selbstwertsteigernd erleben können. Auch die glücksspielertypische Beziehungsstörung verweist auf den äußeren Anreiz von Spielsituationen. Obwohl das Spielen für die Entwicklung von Sozialbeziehungen förderlich ist, kann es auch dem einseitigen Selbstbezug dienen, wenn es einseitig individualistisch und kompetitiv auf die eigenen Bedürfnisse ausgerichtet wird.

Durch Einbeziehung des Begriffes Glück kann der materielle Aspekt als wesentliches Moment bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Glücksspielproblematik einbezogen werden. Glücksspiele sind dem Wesen nach als Wetten zu definieren, da es sich immer um das Setzen eines Preises auf das Eintreten eines vorwiegend oder vollständig zufallsbedingten Ereignisses handelt. Der Einsatz von Geld führt zu einer zusätzlichen Erregungssteigerung und Erhöhung der Selbstbeteiligung, beinhaltet gleichzeitig jedoch ein verstärktes Verlustrisiko. Hiermit vollzieht sich eine grundlegende Veränderung der Handlungsstruktur, indem aus dem Spiel, das lediglich zu einer unmittelbaren Befindlichkeitsänderung führt, eine Ernsthandlung wird, die reale Folgen, u.a. finanzieller Art, für den Glücksspieler hat (Oerter, 1993). Die verkürzten Bezeichnungen „Pathologisches Spielen" oder „Spielsucht"übersehen diesen wichtigen Unterschied, da sie die Bedeutung des Geldgewinns oder -verlustes in seiner Beziehung zum Selbstwert vernachlässigen.

Der Begriff Sucht als Bestandteil der gewählten Bezeichung „Glücksspielsucht" bezieht sich nicht nur auf die suchttypische Eigendynamik des Glücksspielverhaltens, sondern deutet auf darüber hinausgehende moralische Bewertungen der devianten Suchtentwicklung. Auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Ambivalenz gegenüber dem Glücksspiel und der damit verbundenen Inkonsistenz sozialer Normen, die Glücksspiele als Ausgleichsmöglichkeit für gesellschaftliche Einschränkungen zulassen, gleichzeitig jedoch als Verstoß gegen die protestantische Arbeitsethik bewerten, entsteht für den Glücksspielsüchtigen ein sich zuspitzender Konflikt. Die zunehmende individuelle Bindung an das Suchtverhalten korrespondiert mit einer Zunahme sozial eingrenzender Reaktionen, die aufgrund der verinnerlichten Ambivalenz bei dem Glücksspielsüchtigen zu Schuld- und Schamgefühlen führen, die Motor der weiteren Suchtentwicklung sind (Orford, 1985). Die resultierenden Veränderungen der moralischen Maßstäbe des Glücksspielsüchtigen lassen sich als eine selbstrechtfertigende Anpassung des Selbstkonzeptes aufgrund zunehmend devianter Verhaltensweisen verstehen (Lesieur, 1979) und führen durch Integration in gesellschaftliche Subgruppen zu einem glücksspielbezogenen Lebensstil, der durch typische kognitive Verzerrungsmuster und Verhaltensstile, die auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung gerichtet sind, geprägt ist (Walters, 1994, 1994b).

Ein handlungstheoretisches Rahmenmodell

Die Handlungstheorie geht von der Annahme aus, daß der Mensch ein aktiv handelndes Wesen ist, das bewußt und zielgerichtet auf seine Umwelt einwirkt. Jeder Handlung liegt ein komplexer Prozeß der Zielauswahl, der zeitlich fluktuierenden Bereitschaft, ein Ziel zu verfolgen und der Ausführung einer intendierten Handlung zugrunde, wobei es immer um die Bewältigung eines Motivationskonfliktes geht, d.h. der Auswahl zwischen konkurrierenden, teilweise unvereinbaren Reaktionstendenzen. Nach Kurt Lewin (1982) wird eine Handlung durch die aktuellen Kräfte eines jeweiligen Lebensraumes bestimmt, der sowohl die äußeren Anreize der Umgebung als auch die inneren Zustände der Person umfaßt. Danach werden vorhandene persönliche Bedürfnisse, die als innere Spannungszustände die eigentliche motivationale Kraft darstellen, befriedigt, indem das Verhalten entsprechend dem jeweiligen Aufforderungscharakter deräußeren Anreizsituation ausgerichtet wird.

Das Glücksspielverhalten entsteht nach diesem Ansatz aus der Wechselwirkung einer spezifischen inneren Bedürfnisstruktur des Glücksspielers mit dem dazu passenden Aufforderungscharakter eines speziellen Glücksspielangebotes. Die Entscheidung für das Glücksspielen als eine Handlungsmöglichkeit ist insofern zielgerichtet, als es dem Glücksspielsüchtigen erlaubt, seine aktuellen Bedürfnisse zu befriedigen, wobei das jeweils bestehende Glücksspielangebot alsäußere Anreizsituation kurzfristige befriedigende Handlungsergebnisse ermöglicht, während die langfristigen realen Folgen ausgeblendet sind.

Im Zentrum der inneren Bedürfnisstruktur, die eine Anfälligkeit zur Entwicklung einer Glücksspielsucht bildet, steht ein negatives Selbstwertgefühl (Bergler, 1958), das als innere „Leere" oder als ein „Nichts" umschrieben wird. Die Entstehung dieser Selbstwertproblematik wurzelt in einer gehäuft auffindbaren Broken home-Situation, die aufgrund frühkindlicher Schädigungen einschließlich häufiger Mißbrauchserfahrungen zu einer krisenhaften Entwicklung in der Adoleszenz führt. Besonders bedeutsam scheint dabei eine gestörte Beziehung zum Vater zu sein, da dieser häufig, auch aufgrund einer bestehenden Suchterkrankung, abwesend war und als autoritär oder gegenteilig als schwach erlebt wurde.

Die für Glücksspielsüchtige charakteristische Störung der Gefühlsregulation steht in Abhängigkeit von dieser tiefen Selbstwertbedrohung, da die damit verbundenen Gefühle des Versagens, der Trauer und der Wut unterdrückt werden. Das Glücksspielverhalten bietet sich dabei als spannungsabbauende Ersatzhandlung an, die einen aktionsreichen Erregungszustand ermöglicht, so daß diese negativen Gefühle nicht mehr erlebt werden müssen.

Die für Glücksspieler charakteristische Störung der Beziehungsbildung läßt sich ebenfalls auf dem Hintergrund der Selbstwertproblematik verstehen, da aus den familiär erfahrenen emotionalen Vernachlässigungen eine Angst vor individuellem Versagen und sozialer Ablehnung resultiert, so daß reale Konflikte vermieden werden. Statt dessen entwickeln sich einseitig auf die eigenen Bedürfnisse ausgerichtete und durch leistungsorientiertes Konkurrenzverhalten bestimmte Interaktionsmuster, die nahe Beziehungen und damit die Angst vor Zurückweisung ausschließen.

Die Anfälligkeit zur Entwicklung einer Glücksspielproblematik ergibt sich nach diesem heuristischen Modell (Petry, 1996) aus einer spezifischen Bedürfnisstruktur, die darauf gerichtet ist, das Selbstwertgefühl zu steigern, unangenehme Gefühle zu vermeiden und maximale Gewinne aus Beziehungen zu ziehen. Hier liegt die Schnittstelle der Wechselwirkung mit dem Glücksspielangebot als äußerer Anreizsituation. Das Glücksspiel ermöglicht Handlungen, die den Selbstwert durch Kompetenzerleben erhöhen können, der Gefühlsregulation dienen, indem positive Gefühle erlebt und negative Gefühle ersatzweise ausgelebt oder vermieden und distanziert-kontrollierte Interaktionsmuster hergestellt werden, die eine zu große Nähe verhindern. Der Entwicklungsprozeß einer zunehmenden Glücksspielproblematik bestimmt sich im weiteren dadurch, daß die ursprünglich bestehenden Wahlmöglichkeiten aufgrund der ausgeblendeten realen Folgen des Glücksspiels zunehmend eingeschränkt werden, was mit einer weiteren Bindung an das jeweilige Glücksspiel und den damit einhergehenden Lebensstil verbunden ist (Lesieur, 1979).

Aktuelle Erscheinungsformen

Die Bedeutung von Glücksspielen, die zu problembehafteten Glücksspielformen führen, unterliegt einem kulturhistorischen Wandel, da in Abhängigkeit von den gesellschaftlich-ökonomischen Rahmenbedingungen das jeweils bestehende Glücksspielverbot durch Zulassen legaler Glücksspielangebote eingeschränkt wird. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen der jeweils aktuell bestehenden Struktur des gesellschaftlich legitimierten Glücksspielmarktes und der Art und Größe soziodemographischer Bevölkerungsgruppen, die problematische Formen des Glücksspielverhaltens entwickeln. Die nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland zu verzeichnende Expansion des Glücksspielmarktes, der inzwischen ein jährliches Volumen von ca. 40 Mrd. DM Bruttospieleinsätze umfaßt, und seine Differenzierung in Angebotssegmente (Nevries, 1997) hat seit Mitte der 80er Jahre dazu geführt, daß der junge männliche Geldautomatenspieler die Behandlungsnachfrage dominiert. Dabei stellt der nicht dem staatlichen Glücksspielmonopol, sondern lediglich dem Gewerberecht unterliegende „Unterhaltungsautomat mit Gewinnmöglichkeit" das zentrale Glücksspielmedium dar.

Nach der multizentrischen deskriptiven Studie von 558 in Beratung oder Behandlung befindlichen Glücksspielern (Denzer, Petry et al., 1995) handelt es sich dabei fast ausschließlich (94,1 %) um männliche Patienten, deren Altersschwerpunkt bei 30 Jahren liegt, die bereits über viele Jahre mit hoher Intensität vor allem an den gewerblichen Geldautomaten (93,7 %) spielen und zu Behandlungsbeginn erhebliche, vorwiegend glücksspielbedingte Auffälligkeiten wie hohe Verschuldung, erhöhte Suizidtendenz und häufige Delinquenz aufweisen. Bei einer beträchtlichen Teilgruppe besteht zusätzlich eine stoffgebundene Abhängigkeit.

Eine klinisch-deskriptive Unterteilung läßt sich anhand des von dem Betroffenen bevorzugten Glücksspielmediums treffen. Danach lassen sich die behandelten Glücksspielsüchtigen unterteilen in Geldautomatenspieler, die „Unterhaltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit" bevorzugen; Casinospieler, d.h. vorwiegend Roulettespieler; Karten- und Würfelspieler, die illegale Glücksspielformen wie Poker ausüben; Lottosystemspieler; Geldwetter, d.h. vorwiegend Pferdewetter sowie sonstige Glücksspieler, die glücksspielmäßige Formen der Börsenspekulation oder Spiele um Geld mit einem hohen Kompetenzanteil wie Schach, BackGammon oder Billard bevorzugen.

Dabei unterscheidet sich der Aufforderungscharakter dieser Glücksspiele erheblich, so daß diese verschiedenen Glücksspielangebote von soziodemographisch differenzierbaren Gruppen, die eine jeweils charakteristische Bedürfnisstruktur aufweisen, genutzt werden. Dies läßt sich an der Gegenüberstellung von Geldautomatenspielern und Casinospielern aufzeigen.

Bezogen auf die Angebotsseite unterscheidet Nutt (1996) kompetitive Glücksspiele, bei denen man im Wettbewerb gegen andere Mitspieler antritt oder die Kompetenz des Glücksspielers bedeutsam ist, von selbstreferentiellen Glücksspielen, bei denen der Zufall über Gewinn oder Verlust entscheidet, so daß eine durch Kontrollillusionen bestimmte intrapsychische Auseinandersetzung stattfindet. Als Prototyp des selbstreferentiellen Glücksspiels lassen sich Geldautomatenspiele einordnen, da ein Zufallsgenerator das Ergebnis bestimmt und keine sozialen Partner beteiligt sind. Obwohl das Roulettespielen aufgrund seines Zufallscharakters auch einen selbstreferentiellen Aufforderungscharakter besitzt, weist es dazu im Gegensatz durch die Anordnung am Tisch mit sich einander gegenübersitzenden Teilnehmern einen deutlichen Wettbewerbscharakter für den Glücksspieler auf.

Bei dem Vergleich von Roulettespielern mit Geldautomatenspielern finden sich zunächst deutliche soziodemographische Unterschiede, da es sich bei Geldautomatenspielern mit großer Mehrheit um jüngere Männer handelt, die sich noch an der Schwelle zur †bernahme eines familiären und beruflichen Erwachsenenstatus befinden, während Roulettespieler einer mittleren Altersstufe angehören und zu Beginn ihrer Glücksspielkarriere einen höheren Sozialstatus aufweisen (Kröber, 1996), wobei sich auch vermehrt Frauen in dieser Gruppe befinden.

Mit der spezifischen Anreizsituation von Geldspielautomaten korrespondiert nach vergleichenden Untersuchungen ein spezifisches Bedürfnisprofil auf seiten der Teilnehmer (Walker, 1992). Danach geht es Geldautomatenspielern weniger um den Geldgewinn, sondern mehr um die Aktion als solche, da sie nach einer anregenden und ablenkenden Handlungsmöglichkeit suchen, die eine vorübergehende Flucht vor Lebensproblemen erlaubt. Gleichzeitig findet sich der Hinweis auf besonders ausgeprägte Formen des irrationalen Denkens, vor allem in Form einer vermeintlichen Einflußnahme auf den rein zufallsbedingten Spielablauf. Das Geldautomatenspiel erfüllt also die Funktion, unangenehme Gefühle zu regulieren und alltäglich erlebte Frustrationen mittels selbstwertsteigernden Fehlattributionen auszugleichen. Der Geldautomatenspieler sucht die ungestörte Rückzugsmöglichkeit, um diese inneren Erlebnisprozesse allein mit dem Automaten als fiktivem Bezugspartner auszutragen.

Der Roulettespieler befindet sich zwar auch in dieser inneren Auseinandersetzung mit dem Zufallsprinzip des Roulettes, das er mit irrationalem Systemdenken zu überwinden sucht, für ihn besitzt jedoch der Kontext des sozialen Wettbewerbs besondere Bedeutsamkeit. Das Roulettespiel ermöglicht eine spezifische sozial vermittelte Form der Selbstwertsteigerung, da der Casinospieler durch die Beherrschung sozialer Regeln neue Rollen einnehmen kann, die ihm in der sozialen Realität versagt sind. Im Casino besteht eine klar durchschaubare Welt von vorgegebenen Spielregeln, eindeutigen Spielergebnissen und sozialen Verhaltensstandards, die sich von der Konflikthaftigkeit und Uneindeutigkeit der Beziehungen in seiner realen Welt abheben. Die Bewältigung alltäglicher Frustrationen und damit verbundener dysphorischer Stimmungen erfolgt dabei weniger durch das für Geldautomatenspieler typische Ausagieren, sondern durch die rollenmäßige Distanzierung des Roulettespielers von seinen Bezugspartnern und den kontrollierten Umgang mit den eigenen Gefühlen, indem er angesichts von Gewinn oder Verlust seine innere Erregung mit äußerer „Coolness" überspielt.

Diagnostische Verfahren

Bei der Bewertung störungsspezifischer Diagnoseverfahren zur Glücksspielsucht ist es zunächst sinnvoll, die inzwischen fortgeschrittenere Entwicklung der Diagnostik des Alkoholismus anzuschauen. Dort finden sich selbst- und fremdbeschreibende Fragebogenverfahren zur Feststellung des Vorhandenseins einer Alkoholabhängigkeit bzw. eines Alkoholmißbrauchs, zur Erfassung des Entwicklungsstadiums, zur Unterscheidung von Alkoholismustypen, zur Funktionalität des Trinkverhaltens und zur Erfassung suchttypischer Persönlichkeitsmrkmale. Eine besondere Fragestellung stellt die Erfassung möglicher Verleugnungstendenzen durch den Vergleich zwischen Selbstbeurteilungsaussagen und Fremdbeobachtungen bzw. objektiven Außeninformationen dar.

Die Diagnostik der Glücksspielsucht befindet sich dazu im Vergleich noch in ihren Anfängen. Bezogen auf mögliche glücksspielerspezifische Verleugnungstendenzen konnte,ähnlich wie auf dem Gebiet des Alkoholismus, eine sehr hohe †bereinstimmungsquote zwischen Selbst- und Fremdaussagen bei der katamnestischen Erfassung des Glücksspielverhaltens gefunden werden. Dennoch ist in der frühen Phase der Suchtentwicklung und im Rahmen eines therapeutischen Erstkontaktes von Verleugnungstendenzen auszugehen, die vor allem die Funktion besitzen, den durch die negativen Konsequenzen des Glücksspiels bedrohten Selbstwert zu schützen, indem z.B. die finanziellen Verluste und die damit verbundene zunehmende Verschuldung bagatellisiert werden.

Bei einer fortgeschrittenen Glücksspielproblematik haben sich Screening-Verfahren bewährt, die das Vorhandensein und die Schwere der vorliegenden Problematik erfassen können. Diese Meßinstrumente orientieren sich an dem von Custer und Lesieur (Lesieur, 1979; Custer & Milt, 1985) entwickelten Phasenkonzept der Glücksspielsucht, das von einem progredienten Verlauf des symptomatischen Verhaltens ausgeht, indem die Involviertheit in das Glücksspielverhalten mit einer zunehmenden Einschränkung von Wahlmöglichkeiten einhergeht.

Bei dem von Petry und Baulig entwickelten Kurzfragebogen zum Glücksspielverhalten (Petry, 1996) handelt es sich um ein solches testtheoretisch konstruiertes Screening-Verfahren, das im Rahmen der multizentrischen deskriptiven Studie (Denzer & Petry et al., 1995) normiert wurde und sich alsökonomisches, reliables und valides Instrument erwiesen hat. Dabei lassen sich mit diesem Fragebogen beratungs- und behandlungsbedürftige Glücksspieler von Bridgespielern, die nicht um Geld spielen, und normalen Vergleichspersonen gut diskriminieren.

Weitergehende therapierelevante Diagnoseverfahren zur mehrdimensionalen Erfassung der Glücksspielproblematik und Funktionalität des Glücksspielverhaltens liegen im Gegensatz zur Alkoholismusdiagnostik bisher nur als Forschungsskalen vor, so daß sich der Kliniker derzeit noch auf psychodynamische oder verhaltensanalytische Leitfäden zum Erstinterview stützen muß. Auch die Erfassung glücksspielerspezifischer Persönlichkeitsmerkmale und psychopathologischer Auffälligkeiten befindet sich noch in den Anfängen, da bisher lediglich eine erhöhte Depressivität bei Glücksspielsüchtigen ausreichend belegt werden konnte, die sich jedoch auch bei Alkoholabhängigen findet, d.h. nicht als glücksspielerspezifisch angesehen werden kann. Klinisch besonders relevante Merkmale wie die zentrale Selbstwertproblematik und Beziehungsstörung wurden bisher noch nicht im Rahmen der modernen Selbstkonzept- und Bindungsforschung untersucht und auch die Erfassung einer angenommenen erhöhten Risikobereitschaft, externalen Kontrollüberzeugung und Leistungsmotivation ist aufgrund methodischer Einschränkungen bisher nicht gelungen.

Bisherige Versuche zur Typologisierung von Glücksspielern und Glücksspielsüchtigen beziehen sich auf die Art des ausgeübten Glücksspiels, die Intensität des Glücksspiels und damit verbundener negativer Konsequenzen, die Funktionalität des Glücksspielverhaltens, die Persönlichkeitsstruktur, psychopathologische Auffälligkeit und Devianzneigung. Die Problematik all dieser Klassifikationen liegt darin, daß die begriffliche und theoretische Ebene nicht ausreichend differenziert und klinische Erfahrungen mit empirischen Befunden vermischt werden. So wird je nach theoretischem Standpunkt das Vorliegen einer antisozialen Persönlichkeit entweder als Ausschlußkriterum oder gegenteilig als wesentliches Bestimmungsmerkmal der Störung angesehen. Weiterhin werden klinisch intuitive Typologisierungen unzureichend empirisch belegt und generalisierend überinterpretiert. Erste clusteranalytische Untersuchungen, die sich auf die Funktionalität des Glücksspielverhaltens, psychische und psychopathologische Auffälligkeiten und deviante Verhaltenstendenzen beziehen, ergeben bisher nur sehr grobe Hinweise zur differentiellen Therapie glücksspielerspezifischer Untergruppen, wie z.B. die Indikation für eine stationäre Behandlung in Fachkliniken bei dem Vorliegen einer schweren depressiven Symptomatik oder einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung (Kröber, 1996).

Der kognitiv-behaviorale Behandlungsansatz

Inzwischen besteht mit dem Lebensstilansatz von Walters (1994; 1994b) ein kognitiv-behaviorales Behandlungskonzept, das sowohl zur †berwindung des symptomatischen Glücksspielverhaltens als auch zur Bearbeitung der zugrundeliegenden Grundproblematiken geeignet erscheint.

Walters nimmt an, daß eine Person, die glücksspielspezifischen Erfahrungen ausgesetzt ist und gleichzeitig eingeschränkte interne und externe Kontrollfähigkeiten aufweist, für eine spätere Glücksspielproblematik anfällig wird, da sie lernt, Glücksspiel als Mittel der Angstbewältigung einzusetzen. Aus dieser Entwicklung entsteht ein Informationsverarbeitungsstil, bei dem assimilative (vs akkomodative) Prozesse dominieren, d.h. neue Erfahrungen verzerrt wahrgenommen werden, so daß sie in das bestehende kognitive Verarbeitungsschema hineinpassen. Dieser Entwicklungsprozeß eines glücksspielbezogenen Lebensstiles verfestigt sich durch charakteristische Denkstile, die Rechtfertigungscharakter für diese Art der Lebensgestaltung besitzen.

Als erstesübergeordnetes Bedingungsgefüge der Entstehung einer Glücksspielproblematik wird von früheren und aktuellen Lebensbedingungen im Sinne von Risiko- oder Schutzfaktoren bei der Entwicklung eines glücksspielbezogenen Lebensstiles ausgegangen. Dies bedeutet, daß durch die Art der Eltern-Kind-Beziehung die Bindungsfähigkeit entweder gefördert oder gestört wird durch eine mehr oder minder ausgeprägte Selbstwertproblematik, ein unterschiedlich starker Wunsch nach alternativen Erlebniszuständen entsteht und aufgrund anlagemäßiger Unterschiede des inneren Erregungsgleichgewichtes verschieden starke Tendenzen zur Reizsuche bestehen.

Als zweites Bedingungsgefüge der Entstehung eines glücksspielbezogenen Lebensstils wird das Ausmaß der vorhandenen Entscheidungsfähigkeit angenommen, da aufgrund der jeweils vorhandenen Lebensbedingungen mehr oder minder viele Wahlmöglichkeiten zur Problemlösung bestehen. Dabei handelt es sich nicht um rationale Entscheidungsprozesse, sondern intuitive Heuristiken zur Lebensbewältigung, wobei Glücksspieler schlecht organisierte, fehlerhafte und unmittelbar am Gewinn orientierte Entscheidungsstrategien aufweisen.

Als drittesübergeordnetes Bedingungsgefüge nennt Walters den glücksspielerspezifischen kognitiven Stil, welcher darauf abzielt, getroffene Entscheidungen zu rechtfertigen und das fragile Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Es handelt sich um typische Denkstile wie Beschwichtigung, Abschalten, Selbstrechtfertigung, Machtorientierung, Rührseligkeit, †beroptimismus, kognitive Trägheit und Mangel an innerem Zusammenhalt des Denkens, wobei je nach Individuum bestimmte Denkstile von besonderer Bedeutsamkeit sind.

Aus der Interaktion dieser drei übergeordneten Bedingungssysteme entstehen typische gücksspielertypische Verhaltensstile, die wiederum individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Es handelt sich um die Scheinverantwortlichkeit, bei der eine äußere Fassade bei gleichzeitig innerer emotionaler Distanzierung aufrechterhalten wird und ein Realitätsausstieg erfolgt, indem das Glücksspiel als einzige Form der Problembewältigung angesehen und ein Zustand einer veränderten Identität angestrebt wird. Darüber hinaus besteht eineübersteigerte Wettbewerbsorientierung, um durch das ständige In-Aktion-Sein Gefühle von Dominanz, Macht, Erregung und Euphorie zu erleben und schließlich die zunehmende Mißachtung sozialer Regeln, indem die sozialen Beziehungen einseitig, auch durch unmoralische und kriminelle Handlungsweisen, strukturiert werden.

Bezogen auf diese Problemkonstellationen lassen sich drei übergeordnete Behandlungsziele und speziell daraus abgeleitete therapeutische Verfahren nennen. Als erstes muß eine Einstellung des glücksspielbezogenen Lebensstiles als Grundlage für einen weitergehenden Veränderungsprozeß erfolgen. Dies betrifft den motivationalen Aspekt der individuell bestehenden ambivalenten Einstellung gegenüber dem Glücksspielen, zu deren Bearbeitung kognitive und imaginative Verfahren eingesetzt werden, um die sogenannte attributive Triade zu stärken, d.h. die †berzeugung, daß eine Veränderung notwendig, möglich und individuell erreichbar ist. Als zweites bedarf es der Entwicklung von Fähigkeiten zur Lebensbewältigung als Werkzeuge einer Verhaltensänderung. Im Zentrum steht dabei die Verbesserung der Gefühlsregulation, da die Rückfallforschung gezeigt hat, daß negative Gefühle als wesentliche Rückfalldeterminanten anzusehen sind, so daß es notwendig ist, spezifische und allgemeine Streßbewältigungsfähigkeiten zu fördern. Das dritte übergeordnete Therapieziel besteht in der Förderung von glücksspielunabhängigen Aktivitäten, wozu neben der Entwicklung von Ersatzaktivitäten der Aufbau eines alternativen sozialen Stützsystems einschließlich einer abstinenzorientierten Nachsorge gehört.

Glücksspielabstinenz als Behandlungsgrundlage

Innerhalb des suchttherapeutischen Ansatzes zur Behandlung von Glücksspielern (Custer & Milt, 1985) bildet das in der Behandlung von stoffgebundenen Abhängigkeiten bestehende Abstinenzprinzip die Grundlage für eine dauerhafte Bewältigung der Glücksspielproblematik. Auch wenn es sich dabei nicht um das alleinige Kriterium und eigentliche Ziel der Behandlung handelt, bildet es für fortgeschrittene Formen der Glücksspielsucht den notwendigen Rahmen, um darüber hinausgehende Veränderungen, die eine zufriedene Lebensbewältigung gewährleisten, zu ermöglichen. Dabei stellt sich die Frage, wie eine solche Glücksspielabstinenz zu definieren ist. Es ist also zu klären, ob auch Spiele ohne Geldeinsatz, wie z.B. Schach, und das „weiche Glücksspielen", d.h. Glücksspiele mit geringem Geldeinsatz, wie das Lotto, unter die Glücksspielabstinenz einzuordnen sind und inwieweit eine spezielle Glücksspielproblematik, wie das Geldautomatenspiel, mit der Gefahr eines Umstiegs auf ein anderes „hartes Glücksspiel", wie z.B. Roulette, verbunden sein kann. Zur Beantwortung dieser Frage können zwei Dimensionen zur Definition der Glücksspielabstinenz unterschieden werden, die sich zum einen auf die Höhe des jeweiligen Geldeinsatzes und zum anderen auf die Ähnlichkeit der Glücksspielart bzw. seines Kontextes beziehen.

Im Rahmen eines solchen zweidimensionalen Schemas können die Bereiche des „weichen" und „harten" Glücksspielverhaltens, die auf ein unterschiedliches Gefährdungspotential hinweisen, voneinander abgegrenzt werden. Dabei sollte während der Behandlung zunächst die vollständige Glücksspielabstinenz gefordert werden, um die Funktionalität des ausgeübten Glücksspielverhaltens erlebbar und analysierbar zu machen, während nach Abschluß einer Behandlung die Entscheidung über den Bereich des „weichen" Glücksspielverhaltens der individuellen Entscheidung des Betroffenen überlassen werden kann.

Geld- und Schuldenmanagement

Innerhalb der Psychotherapie wurde die Bedeutsamkeit des Geldes im Zusammenhang mit der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen bisher unterschätzt, obwohl Geldprobleme, z.B. bei Partnerschaftsstörungen, Ausdruck widerstreitender Gefühle sind, die tiefersitzende emotionale Probleme berühren. Aufgrund der großen Bedeutsamkeit des Geldes für die Entwicklung der Glücksspielproblematik und der engen Kopplung zwischen Geldbesitz bzw. -verlust und dem Selbstwertgefühl von Glücksspielsüchtigen (Petry, 1997) wurden Methoden des Geld- und Schuldenmanagements als notwendiger Bestandteil der Behandlung von Glücksspielsüchtigen entwickelt (Nebendorf & Petry, 1996). Die Hauptaufgabe besteht darin, den in der Sozialisation entstandenen problematischen Geldstil bewußt zu machen und den Betroffenen zu motivieren, diesen zu verändern. Dies betrifft vor allem die für Glücksspieler gegensätzlichen Geldstile des Geizes und der Verschwendung, die mit Hilfe des Prinzips der Suche nach dem Mittleren zu überwinden sind. Die psychotherapeutische Umsetzung dieser Leitlinie erfordert vor allem die Bearbeitung glücksspielerspezifischer Verleugnungs- und Selbsttäuschungsmechanismen, die sich in der Tendenz äußern, finanzielle Probleme auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, äußere Instanzen für die eigene finanzielle Misere verantwortlich zu machen, das Problem an andere Personen zu delegieren oder sich einer Einflußnahme grundsätzlich zu entziehen.

Vor Einleitung des Geld- und Schuldenmanagements im engeren Sinne bedarf es zunächst einer Bewußtmachung derübergroßen emotionalen Bedeutsamkeit des Geldes, um die Grundlagen für konkrete Veränderung des finanziellen Verhaltens zu legen. Dazu eignen sich erlebnisaktivierende Methoden, wie z.B. die Vorgabe eines fiktiven Millionenerbes, bei dem der Glücksspielsüchtige mit der Frage konfrontiert wird, was er tun würde, wenn er unerwartet eine oder mehrere Millionen geerbt hätte. Diese Frage aktualisiert den Traum vieler Menschen und Glücksspielsüchtiger im besonderen angesichts ihrer realen Lebenssituation, die bekannte Tatsache auszublenden, daß es nur zwei Wege gibt, Millionär zu werden, indem man entweder mehr verdient, als man täglich zum Leben braucht, oder weniger konsumiert, als man verdient. Dabei lassen sich aktuelle Bedürfnisse und emotionale Sehnsüchte offenlegen, die Grundlagen für problematische Umgangsformen mit Geld bilden. Zur Bewußtmachung solcher unterschiedlicher Geldstile eignet sich der sogenannte Geldtest, bei dem die Mitglieder einer Gruppe aufgefordert werden, alle Geldmittel, die sie gerade bei sich führen, offen vor sich auszubreiten, so daß im Rahmen von sozialen Vergleichsprozessen charakteristische Umgangsformen mit Geld, wie z.B. das Mitführen größerer Bargeldbeträge, problematisiert werden können.

Bei der Veränderung des so offengelegten finanziellen Verhaltens besteht das konkrete Vorgehen darin, die kurzfristige Orientierung an dem jeweils unmittelbar vorhandenen Geld aufzuheben. Dazu wurde das Prinzip des frei verfügbaren Einkommens eingeführt, das darauf zielt, nach einer detaillierten Haushaltsanalyse, d.h. der Gegenüberstellung aller vorhandenen Einnahmen und aller notwendigen Ausgaben, den Restbetrag zu ermitteln, der für persönliche Bedürfnisse frei verfügbar ist. Bezogen auf den Umgang mit bestehenden Schulden wurde ein entsprechendes Prinzip der unmittelbaren Rückzahlung eingeführt, wonach selbst bei einer durch eine hohe Verschuldung bedingten geringen finanziellen Beweglichkeit auf jeden Fall auch kleinere Beträge unmittelbar an private undöffentliche Gläubiger zurückgezahlt werden müssen. Dieses Vorgehen verfolgt neben der Verbesserung des finanziellen Verhaltens vor allem das Ziel, den bei Glücksspielsüchtigen bestehenden eingeschränkten Selbstwert wieder herzustellen, um die Motivation zur langjährigen Veränderung der problematischen Finanzsituation zu schaffen.

Symptomorientierte Behandlungsschwerpunkte

Die Behandlung von Glücksspielsüchtigen muß sich zunächst auf das symptomatische Glücksspielverhalten selbst richten, so daß die selbstauferlegte Glücksspielabstinenz therapeutisch stabilisiert wird, um den Behandlungsrahmen für weitergehende Änderungen herzustellen. Dabei ist es erforderlich, zunächst die motivationale Ambivalenz gegenüber dem Glücksspielverhalten zu bearbeiten, darüber hinaus glücksspielerspezifische Verzerrungen der Informationsverarbeitung zu verändern und schließlich Kompetenzen zur Verhinderung und Bewältigung von Rückfällen zu entwickeln.

Hinsichtlich der Motivationsproblematik muß die bei Glücksspielsüchtigen bestehende Ambivalenz gegenüber dem Glücksspielmedium als Kernproblem angesehen werden und mit Hilfe nichtkonfrontativer Motivationsstrategien, die sich in der Arbeit mit Suchtkranken bewährt haben (Miller & Rollnick, 1991), bearbeitet werden. Dabei besteht die therapeutische Aufgabe darin, die Diskrepanz zwischen der unmittelbar positiv erlebten Veränderung des Gefühlszustandes während des Glücksspielens und den langfristig daraus resultierenden negativen Folgen bewußt zu machen, um zu langfristig konstruktiven Handlungsalternativen zu gelangen. Im Zentrum einer verhaltenstherapeutisch orientierten Motivationsarbeit steht die Herausarbeitung der Funktionalität des Problemverhaltens, um dessen aufrechterhaltendes Bedingungsgefüge zu klären und auf dieser Grundlage konkrete Therapieziele zu formulieren. Dabei erfolgt zunächst die Erfassung des situativen Kontextes des Problemverhaltens, die damit verbundenen gewohnheitsmäßigen Verhaltensmuster und die inneren Bewertungsprozesse, die das Glücksspielverhalten stabilisieren und damit eine Auseinandersetzung mit realen Lebensanforderungen verhindern.

Dabei besteht häufig die Ausgangssituation, daß Glücksspielsüchtige zu Beginn einer Behandlung den Anreiz von sich zunehmend ausbreitenden Glücksspielangeboten überbetonen und äußere Instanzen für diese Problemlage verantwortlich machen. Ein Vorgehen bei einem Geldautomatenspieler kann darin bestehen, die von ihm regelmäßig aufgesuchte Spielhalle in einem Gruppenraum mit Hilfe der darin befindlichen Dinge und Personen zu „vergegenständlichen", d.h. die vorhandenen Geldspielautomaten, die Geldwechseltheke, das Personal und andere Glücksspieler räumlich anzuordnen. Der Protagonist wird dann aufgefordert, den so aufgebauten Raum auf sich wirken zu lassen undüber seine damit zusammenhängenden Gefühle zu berichten. Dabei kann dem Betroffenen bewußt werden, daß er sich während der Glücksspielaktivität ganz von der Aktion gefangen gefühlt hat und von seinem beruflichen und familiären Alltag abschalten konnte. Darüber hinaus kann er die Beziehungsaufnahme mit dem Geldautomaten als Ersatzobjekt beim Ausagieren von angestauten Aggressionen im dialogischen Rollentausch erleben oder die durch Konkurrenz bestimmten Beziehungsmuster gegenüber seinen Mitspielern wahrnehmen. Die Bewußtmachung des Glücksspielverhaltens als Ersatzhandlung für im Alltag unbefriedigte Bedürfnisse eröffnet den Blick auf alternative Formen der Streßbewältigung und den Aufbau befriedigenderer Ersatzaktivitäten.

Bei der Veränderung verzerrter Informationsverarbeitungsprozesse stehen glücksspielerspezifische Kontrollillusionen im Mittelpunkt. Glücksspielsüchtige gehen in ihren Kernüberzeugungen davon aus, daß sie trotz der Verluste anderer Personen über das Wissen und die Geschicklichkeit verfügen, mit Glücksspielen Geld verdienen zu können, was die Illusion beinhaltet, den Ausgang des Glücksspiels kontrollieren zu können und durch den Glauben an ein persönliches Glück letztendlich belohnt zu werden. Bei dieser Kontrollillusion handelt es sich um die Annahme, daß beim Glücksspiel mehr persönliche Einflußnahme möglich ist, als dies von seiner objektiven Struktur her der Fall ist, wobei es zu einer verzerrten Bewertung des Glücksspielergebnisses kommt, indem Gewinne den eigenen Kompetenzen zugeschrieben, während eingetretene Verluste aufäußere Hindernisse geschoben werden.

So kann ein Geldautomatenspieler zwar rational anerkennen, daß ein Geldspielautomat aufgrund seines Zufallsgenerators zu einer festen Verlustquote führt, gleichzeitig jedoch davon überzeugt sein, daß er einen speziellen Automatentyp mit Hilfe spezieller Spieltechniken beherrschen kann. Zur Bewußtmachung einer solchen Fehleinschätzung eignet sich die erlebnisaktivierende Methode des „Zahlenratens", einem therapeutischen Kartenspiel, bei dem fünf Spielkarten mit den Ziffern eins bis fünf verdeckt gemischt werden und der Spielpartner jeweils erraten muß, welche Zahl sich auf der Rückseite der obersten Karte befindet. Nachdem der Spielpartner seinen Tip abgegeben hat, erfolgt eine Rückmeldung durch Aufdeckung der Karte und er wird aufgefordert, seine unmittelbar ablaufenden Gedanken zu äußern. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Nachbesprechung sogenannter Beinahetreffer, die nicht als Verlust in einem Spiel mit ungünstiger Trefferquote von 1 : 5 erlebt werden, sondern durch das Gefühl, beinahe gewonnen zu haben, zum Weiterspielen anreizen. Bei dem Rückbezug dieser Erfahrung auf das Geldautomatenspiel sind Glücksspieler häufig durch die Informationen beeindruckt, daß solche Beinahetreffer systematisch bei Geldautomaten einprogrammiert sind, indem überzufällig häufig potentielle Gewinnsymbole und -kombinationen erscheinen, um den Teilnehmer zu manipulieren.

Um den emotionalen Kern solcher glücksspielspezifischen Kontrollillusionen anzusprechen, kann darauf aufbauend zu der Imagination, in einem „Land der Riesen" zu leben, aufgefordert werden, bei dem sich der Betroffene in einer Welt bewegt, in der alle anderen Menschen dreimal so groß und schwer sind wie er selbst. Dieses Hineinversetzen in die Erlebniswelt eines kleinen Kindes kann zu Erinnerungen und Gefühlen führen, die mit Situationen des Ausgeliefert- oder Abhängigseins verbunden sind. Die dabei erlebte Hilflosigkeit und Angst erschließt den Zugang zu der Funktion von Kontrollillusionen als Mechanismen zur Aufrechterhaltung des bedrohten Selbstwertes. Daraus leitet sich dann die Notwendigkeit ab, die eigene Lebenssituation aktiver zu bewältigen, um sich weniger ausgeliefert zu fühlen, so daß der Rückzug in die scheinbar kontrollierbare Welt des Glücksspiels nicht mehr notwendig ist.

Die Bearbeitung der Rückfallgefährdung, d.h. das erneute Auftreten des Glücksspielverhaltens nach einer selbstgewählten Abstinenzperiode stellt einen weiteren Schwerpunkt der symptomorientierten Behandlung dar. Die Rückfallthematik wird von Glücksspielsüchtigen häufig in Form eines aktuell erlebten „Spieldruckes" in die Therapie eingebracht. Damit werden die als unangenehm oder anreizend erlebten perzeptiven (Anblick und Akustik von Geldautomaten), kognitiven (Gedanken an das Glücksspiel), körperlichen (psychosomatische Reaktionen) und emotionalen (spannungsvoller Erregungszustand) Auslöser des Verlangens zum erneuten Glücksspiel benannt. Um die Bedeutung des jeweils vorhandenen inneren Bedürfniszustandes für die Wahrnehmung der äußeren Anreizreaktion zu verdeutlichen, läßt sich ein imaginärer Gang durch eine Stadt als Beispiel wählen, wobei der jeweils vorherrschende Bedürfniszustand des Durstes, Hungers oder des Wunsches, ein Geschenk zu kaufen, die selektive Wahrnehmung von Geschäften mit entsprechenden Warenangeboten steuert. Daraus wird ersichtlich, daß die Konfrontation mit einem Glücksspielangebot nicht zufällig und von außen gesteuert erfolgt, sondern durch die Handlungen einer Person, die ein entsprechendes Verlangen besitzt, herbeigeführt wird. Mit Hilfe solcher Methoden wird erfahrbar, daß dem „Spieldruck" Bedürfnisse nach Entspannung, Abschalten und Abreagieren vorangehen, um negative Gefühlszustände wie Unruhe, Langeweile, Enttäuschungen und Ärger, die aus ungelösten Alltagsproblemen entstehen, kurzfristig zu bewältigen.

Ziel der Auseinandersetzung mit dem Thema des „Spieldrucks" sollte es sein, die Aufmerksamkeit von dem negativ erlebten Zustand der Hilflosigkeit und der Tendenz zur Externalisierung auf Themen zu richten, die der Glücksspielproblematik zugrundeliegen, d.h. der Bewältigung von alltäglichen Belastungen, Konflikten und unangenehmen Gefühlszuständen. Im Sinne des innerhalb der Suchttherapie entwickelten sozioalkognitiven Rückfallpräventionsmodells (Marlatt & Gordon, 1985) lassen sich in der Folge die individuellen Vorboten der inneren Unruhe und Gedanken an das Glücksspiel sowie die aktuell damit korrespondierenden Risikosituationen der Langeweile, des Erlebens von Mißerfolgen und alltäglicher Konfliktsituationen herausarbeiten und rückfallspezifische kognitive und behaviorale Bewältigungsreaktionen zur Verhinderung eines Rückfalles einüben. Darüber hinaus können selbstwertmindernde Schuldgefühle, die mit einem real auftretenden Glücksspielrückfall verbunden sind, bearbeitet werden, um das Auftreten in ein erneutes dauerhaftes Glücksspielverhalten zu verhindern.

Bearbeitung der Hintergrundsproblematiken

Zur dauerhaften Bewältigung einer Glücksspielproblematik ist es erforderlich, die zugrundeliegenden Besonderheiten der Erregungsregulation und Gefühlsverarbeitung, der Beziehungsgestaltung in Verbindung mit einerüberhöhten Leistungsorientierung und der negativen Selbstbewertung mit Einschränkungen der Problemlösekompetenz aufzugreifen.

Ein Erklärungsansatz zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer Glücksspielproblematik besteht darin, prädisponierende Mangelzustände anzunehmen, die dazu führen, daß eine Person ein verstärktes Bedürfnis nach positiv erlebter Erregung aufweist, so daß die stimulierende Wirkung von Glücksspielen, die sich als Erregungsanstieg objektiv erfassen läßt, Verstärkungswert für das Glücksspielverhalten besitzt. Dabei kann es sich um depressiv-strukturierte Personen handeln, die aufgrund frühkindlicher traumatischer Lebensereignisse einen chronischen Mangelzustand aufweisen, der sich durch das Glücksspielverhalten verändern läßt, da der damit verbundene Erregungszustand alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, so daß es zu einer Stimmungsaufhellung kommt. Bei einer zweiten Gruppe kann es sich um anlagemäßig untererregte Personen handeln, die ein starkes Bedürfnis nach Stimulation aufweisen, da sie sonst unter Langeweile leiden. Sie sind überaktiv und weisen eine geringe Frustrationstoleranz auf, wobei ständiger Aktionismus ihre Langeweile noch steigert, da die gewählten Aktivitäten zunehmend an Reiz verlieren.

Nach dem schematheoretischen Therapieansatz (Grawe, 1987) handelt es sich bei der klinisch sichtbaren psychophysiologischen Unruhe und dem damit verbundenen Aktionsdrang lediglich um das offen zutage tretende Vermeidungsverhalten, welches zugrundeliegende negative emotionale Erlebnisinhalte verdeckt. Diese aufgrund negativer lebensgeschichtlicher Erfahrungen erworbenen kognitiv-emotionalen Organisationseinheiten des psychischen Prozesses führen bei ihrer Aktivierung zu einem Repertoire von kognitiven und behavioralen Vermeidungsreaktionen, um bedrohliche emotionale Zustände zu verhindern. Die Behandlung von Glücksspielsüchtigen erfordert deshalb eine Unterbrechung des subjektiven Gefühls von Langeweile, der erlebten körperlichen Unruhe und des Aktiondrangs, um zu einer verbesserten Wahrnehmung dadurch verdeckter Gefühlszustände zu gelangen und diese zunächst als bedrohlich erlebten Empfindungen zu bewältigen. Dabei handelt es sich um negative Gefühle wie Depression, Angst vor Ablehnung, Einsamkeit,Ärger und Aggression, für die das Glücksspielverhalten die Funktion des Abreagierens oder Ausblendens hatte.

Für den Einstieg in den Veränderungsprozeß von nicht wahrgenommenen oder nicht bewältigbar erscheinenden negativen Gefühlen bieten sich erlebnisaktivierende Methoden an, die auch körperbezogene Elemente beinhalten. Ein Beispiel ist die †bung des „Eindringens", bei der dem Protagonisten die Aufgabe gestellt wird, in einen von anderen Gruppenmitgliedern gebildeten, durch Unterhaken fest geschlossenen Kreis einzudringen. Ausgangspunkt zum Einsatz einer solchen †bung können glücksspielertypische Strategien der Konfliktvermeidung sein, die aus einer Unterdrückung aggressiver Gefühle resultieren, da die Befürchtung besteht, in realen Auseinandersetzungen überaggressiv zu reagieren. Dies kann sich in der †bung darin zeigen, daß der Betroffene bei der Konfrontation mit dem körperlich spürbaren Widerstand der Gruppe rasch aufgibt und aus dem Felde geht. Durch Rückmeldungen der Gruppenmitglieder über das beobachtbare Verhalten oder durch Aufzeigen alternativer Formen des Eindringens durch andere Gruppenmitglieder kann dem Protagonisten erlebbar gemacht werden, daß es zwischen den beiden extremen Formen der Resignation oder des überaggressiven Auslebens vielfältige Möglichkeiten gibt, mit den eigenen Kräften angemessen ans Ziel zu gelangen. Diese Erfahrung läßt sich in der Folge auf Situationen aus dem realen Lebensbezug übertragen und einüben.

Bezogen auf die für Glücksspieler typische Beziehungsstörung, die sich als einseitige Austauschorientierung interpretieren läßt, bei der eine individualistisch-kompetitive Vergrößerung des eigenen Vorteiles in Beziehungen angestrebt wird, lassen sich die damit verbundenen problematischen Beziehungsmuster durch gruppendynamische Interaktionsübungen bewußtmachen. Eine dazu geeignete Methode ist die sogenannte Quadratübung, die kooperatives bzw. kompetitives Verhalten in Kleingruppen aktualisiert. Die Gruppenmitglieder erhalten dabei nach einem festgelegten Plan einzelne Teile von Quadraten, die durch stummen Austausch am Ende zu gleich großen Quadraten zusammenzufügen sind. Die †bung ist so strukturiert, daß es nur eine einzige Lösungsmöglichkeit gibt, gleichzeitig jedoch im Verlauf falsche Einzellösungen entstehen können, die zur Blockierung anderer Gruppenmitglieder führen. Dieses erlebnisaktivierende Verfahren eignet sich besonders für die therapeutische Arbeit mit Glücksspielsüchtigen, da es aufgrund seines Spielcharakters handlungsaktivierend ist, so daß es sehr schnell Besonderheiten des individuellen Interaktionsverhaltens deutlich werden läßt.

Viele Gruppen von Glücksspielern zeigen zu Beginn ein hektisches, leistungsorientiertes Verhalten, bei dem die einzelnen Teilnehmer sehr intensiv auf ihre Aufgabe konzentriert sind. Dabei fällt es den eingeteilten Beobachtern nicht schwer, auftretende Gefühle von Ärger, †berlegenheit, Rückzug und Genugtuung zu beobachten und diese später den Teilnehmern zurückzumelden. Den Spielteilnehmern selbst gelingt es in der Nachbesprechung sehr schnell, ihre selbstwahrgenommenen emotionalen Reaktionen und Verhaltensweisen auf für sie typische Beziehungsmuster im Alltag zu beziehen. Insgesamt kann es mit dieser †bung gelingen, individuell sehr unterschiedliche Problematiken in der Beziehungsgestaltung zu verdeutlichen und die Vorteile alternativer kooperativer Verhaltensweisen, die auf einen gemeinsamen Gewinn orientiert sind, zu erkennen. Mit Hilfe der ebenfalls bekannten „Turmbauübung", bei der mehreren Untergruppen die Aufgabe gestellt wird, mit begrenzten Materialien einen möglichst hohen, standfesten und originellen Turm zu bauen, lassen sich positive Gruppenerfahrungen erlebbar machen und spontan eingenommene Rollen des †ber- oder Unterordnens in einem Gruppenprozeß weitergehend reflektieren und auf das Alltagsverhalten beziehen.

Die therapeutisch zu bearbeitende Selbstwertproblematik äußert sich in einer starken Diskrepanz zwischen nach außen gezeigten Verhaltensmustern und der dazu diametral erlebten inneren Befindlichkeit. Fordert man Glücksspielsüchtige auf, zunächst eine glücksspielsüchtige Person aus der Sicht eines Außenstehenden zu beschreiben, d.h. diejenigen Verhaltensweisen, Eigenschaften und angestrebten Wirkungen auf andere Menschen zu benennen, in denen sie sich von anderen Personen unterscheidet, so werden am häufigsten typische Merkmale wie Unruhe, Verschlossenheit, Dominanz, Unehrlichkeit und Aggressivität genannt. Bei der Auflistung typischer innerer Gefühlszustände, Gedanken, Wünsche und Phantasien als Beschreibung des Inneren eines Glücksspielsüchtigen werden am häufigsten die Merkmale der Verletzbarkeit, Sehnsucht nach Zuwendung, Nervosität, Unsicherheit und Ängstlichkeit benannt. Daraus ergibt sich ein kräftezehrender Spannungszustand in der Person des Glücksspielsüchtigen, der daraus resultiert, daß innere Unsicherheit durch ein dominant-selbstsicheres Auftreten überspielt wird, Nähe- und Geborgenheitswünsche hinter einem sozial distanzierten Verhalten verborgen werden und die innere Unruhe durch nach außen gezeigte Gelassenheit überdeckt wird. Im Inneren der Person herrschen unangenehme Gefühle wie Angst, Einsamkeit, Unsicherheit und Ärger, während nach außen eine emotionskontrollierte Fassade gezeigt wird. Dabei lassen sich bildhafte Vergleiche ziehen, wie z.B. mit einemäußeren Schutzwall, der zwar das Innere vor Verletzung schützen kann, gleichzeitig aber den Zugang zu den eigenen Gefühlen und Wünschen erschwert und den hilfreichen Kontakt mit anderen Menschen versperrt.

Um dem Glücksspielsüchtigen, der sich zu Beginn der Behandlung häufig gefühlskontrolliert, distanziert und rationalistisch verhält, die Wurzeln dieses negativen Selbstschemas bewußt zu machen, eignet sich die sogenannte Strategie des inneren Kreises. Diese greift auf das Bild eines Baumes mit seinen Jahresringen zurück, die dessen abgestufte innere Struktur bilden, was sich in Form eines Diagramms auf die Innenwelt eines Menschen übertragen läßt. Bei einer gesunden Person entstehen dabei mehrere relativ gleich voneinander entfernte Ringe, die von innen nach außen Bereiche abnehmender Intimität abgrenzen und entsprechend ein abgestuftes soziales Kontaktverhalten ermöglichen. Im Gegensatz dazu besteht bei einer „verbarrikadierten Persönlichkeitsstruktur" ein relativ großer, sehr stark abgegrenzter Bereich, der aus der Verschmelzung mehrerer innerer Abgrenzungen entstanden ist und lediglich von einemäußeren Ring eingegrenzt wird.

Dieser starre innere Ring wird von Glücksspielern als ein Panzer erlebt, um den herum keinerlei äußere Grenzen existieren. Fordert man einen Glücksspieler mit solch einer Persönlichkeitsstruktur auf, alle für ihn existierenden sozialen Bezugspersonen im Sinne eines „sozialen Atoms" um sich herum anzuordnen, werden diese häufig ohne angemessen abgestufte Entfernung im Raum plaziert, so daß gegenüber einer engen Bezugsperson eine große Distanz bestehen kann, während relativ fremde Personen nahe an den Intimbereich der Person heranreichen können. Mit Hilfe der Methode des „Zwiebelschälens" lassen sich diese Störungen der Nähe-Distanz-Regulation weiter analysieren, indem von den äußeren bewußten Erklärungen über die inneren privaten Gedanken die zugrundeliegenden negativen Selbstschemata offengelegt werden. So finden sich an der Oberfläche bewußte Gedanken, die sich auf die Angst vor Kritik beziehen oder die Frage, was andere Personen über sie denken mögen. In einer tiefergelegenen Schicht findet sich die Angst vor sozialer Ablehnung, d.h. das Gefühl, von anderen nicht gemocht zu werden und die Vorstellung, daß man selbst als gefühlskalt und kontaktunfähig angesehen wird. Im innersten Kern findet sich die in der familiären Sozialisation erworbene Gleichsetzung von Gefühlen der Nähe mit der Wahrnehmung von Gefahr und dem Erlebnis des Schmerzes.

Eine weitergehende Bearbeitung erlaubt die psychodramatische Methode des „Zauberladens", der das Angebot beinhaltet, sich menschliche Eigenschaften, die man für die eigene Person anstrebt, zu wünschen, dafür dann aber im Gegenzug auch persönliche Eigenschaften einzutauschen, auf die man nach eigener Einschätzung verzichten kann. Bei dieser †bung stellt sich in der Arbeit mit Glücksspielsüchtigen immer wieder eine ähnliche Konstellation her, da sich die geäußerten Wünsche auf die typischen inneren Defizite beziehen, d.h. ein Verlangen nach mehr Ruhe, Gelassenheit, Genußfähigkeit, Ehrlichkeit, Ausdauer, Offenheit und Sicherheit besteht, während offensichtliche Kompetenzen wie Intelligenz, Ehrgeiz, Sportlichkeit und Organisationstalent angeboten werden. Viele Glücksspielsüchtige neigen bei dieser †bung dazu, mit ihren Angeboten sehr großzügig umzugehen, d.h. auf wesentliche Kompetenzen und persönliche Ressourcen leichtfertig zu verzichten. Dies wird vielen Teilnehmern bereits während der †bung rasch bewußt, was zu der positiven Selbstbewertung führen kann, daß sieüber viele wichtige Fähigkeiten verfügen, mit denen sie zufrieden sein können und die sie zur Bewältigung ihrer anstehenden Lebensprobleme benötigen.

Erfassung der Behandlungseffektivität

Nach traditionellem Verständnis gilt bei katamnestischen Untersuchungen für Suchterkrankungen die Abstinenzüber den gesamten Katamnesezeitraum als Erfolgskriterium. Seit Einführung des sozialkognitiven Rückfallpräventionsmodell wird der Rückfall nicht länger als ein Alles-oder-Nichts-Ereignis angesehen, da trotz kurzfristiger Rückfallepisoden positive Veränderungen der psychosozialen Lebenssituation eintreten können.

†bertragen auf die Erfolgskontrolle der Behandlung von Glücksspielsüchtigen liegt bei einer Einjahreskatamnese Glücksspielabstinenz vor, wenn mindestens neun Monate und die letzten drei Monate des Jahres glücksspielfrei waren (Blaszczynski et al., 1991). Darüber hinaus sollte ein Vorher-Nachher-Vergleich erfolgen, Formen des „weichen" Glücksspielens erfragt und Veränderungen beim Konsum von stofflichen Suchtmitteln einbezogen werden. Bezogen auf die psychosoziale Lebenssituation sind Veränderungen in den partnerschaftlichen Beziehungen, der Berufstätigkeit, der finanziellen Situation und der psychischen bzw. psychosomatischen Gesundheit zu erfassen. Die so registrierten Besserungsquoten müssen selbst- und fremdkatamnestisch abgesichert und auf Untergruppen der Stichprobe bezogen werden. Dazu läßt sich feststellen, daß vorliegende internationale und deutschsprachige Katamnesestudien aufgrund methodischer Mängel bisher noch keine sichere Beurteilung der Behandlungseffektivität zulassen.

In einer eigenen Untersuchung von 48 stationär behandelten Patienten ergab sich, bezogen auf die Glücksspielabstinenz als einem der genannten Effektivitätskriterien, eine auf die Gesamtstichprobe bezogene Quote von 41,7 % Totalabstinenten und zusätzlich weiteren 18,7 %, die einen vorübergehenden Rückfall bewältigen konnten, wobei eine mittlere Reduzierung des Glücksspielverhaltens von 8,5 bzw. 6,3 Monaten zugrundelag. Diese Abstinenzquote erscheint zwar im Vergleich zu behandelten Alkoholabhängigen geringer, läßt sich aber damit erklären, daß es sich um eine jüngere Patientengruppe handelt, die häufiger Mehrfachabhängigkeiten aufweist, hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung problembelasteter ist, in instabileren sozialen Beziehungen lebt und sich in einer schlechteren finanziellen Situation befindet. Genauere Angaben, auch zu den anderen Effektivitätskriterien, finden sich bei Petry, Jahrreiss und Wagner (in Vorbereitung).

 

Literatur

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